Es waren deutliche Worte, die der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich zum freien Personenverkehr in der EU wählte: „Freizügigkeit heißt nicht, die Freiheit zu haben, nur wegen höherer Sozialleistungen das Land zu wechseln.“ Sogar im politisch hyperkorrekten Deutschland getraut sich ein Minister mittlerweile, den Missbrauch beim freien Personenverkehr öffentlich anzusprechen.
Friedrichs Warnungen sind nur allzu berechtigt. Bereits vor einigen Jahren hat der renommierte Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut nachgewiesen, dass der durchschnittliche Einwanderer in den ersten 10 Jahren den deutschen Staat jährlich 2´400 Euro kostet. Die Migranten müssten über 25 Jahre in Deutschland leben, um netto mehr an den Staat zu leisten, als sie von ihm beziehen. Jedoch kehren 80% der Migranten früher wieder in ihre Heimat zurück oder sterben. Masseneinwanderung ist demnach ein Verlustgeschäft für den deutschen Staat.
Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission und EU-Justizkommissarin, tat die Warnungen aus Deutschland jedoch spontan als „Bierzeltaussagen“ ab. Über die Probleme an der Basis mit der Personenfreizügigkeit scheint sich die hohe europäische Politik nicht zu kümmern. Lieber moralisiert die Justizkommissarin im Brüsseler Elfenbeinturm: „Populistische Bangemacherei über einen <Wohlfahrtstourismus> hat keinen Platz in Europa.“ Immerhin musste die EU-Kommission doch noch einen Aktionsplan präsentieren und will die Staaten bei der Bekämpfung von Scheinehen und bei der Wohnsitzermittlung von Einwanderern unterstützen. Mit solchen Alibi-Übungen lässt sich dem Sozialtourismus innerhalb Europas indes kaum wirksam entgegentreten.
Diese Arroganz der Macht, welche im Verhalten der EU-Justizkommissarin gegenüber einem EU-Mitgliedsland zum Vorschein kommt, ist kein Einzelfall. Als Frankreich unter dem vormaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy die Probleme mit gewissen Roma angehen und diese in deren Heimat rückschaffen wollte, drohte Reding prompt mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich. Öffentlich verstieg sie sich zu folgender Aussage: „Ich hatte gedacht, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht noch einmal Zeuge eines solchen Geschehens würde.“ Unter der neuen französischen Regierung von François Hollande gingen die Roma-Ausweisungen weiter, und auch Viviane Reding war prompt wieder mit moralinsaurer Überheblichkeit zur Stelle: „Jedes Mal, wenn man nicht über wichtige Themen wie Budget oder Schulden sprechen will, verfällt man auf die Roma.“ Dieselbe Viviane Reding proklamierte im Übrigen im vergangenen Jahr auch energisch die Einführung von Frauenquoten in (privaten) Unternehmensvorständen. Als ob es Sache der Europäischen Union – einst gedacht als Friedensprojekt – wäre, von Helsinki bis Madrid und Bukarest eine Frauenquotenpolitik zu verordnen! In Deutschland scheint der Druck indes gewirkt zu haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte unlängst im Wahlkampf die Einführung einer Frauenquote von 30 % in den Aufsichtsräten börsenkotierter Unternehmen.
Diese Beispiele zeigen anschaulich, wie weit die Gesetzgebung, die öffentliche Verwaltung und die Rechtsprechung in den EU-Mitgliedstaaten direkt oder indirekt durch Brüssel gesteuert werden. Laut dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog werden mittlerweile über 80% der in Deutschland geltenden Rechtsakte in Brüssel beschlossen, direkt oder indirekt via EU-Richtlinien. Die politische Dynamik in der EU hat sich längst von den Nationalstaaten hin zu Brüssel verschoben, manchmal auch unter kaum haltbaren Kompetenzerweiterungen. Art. 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht beispielsweise vor, dass kein Mitgliedstaat der EU für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats haften muss. Dennoch errichtete die EU einen milliardenschweren Rettungsschirm für ihre beinahe bankrotten Mitglieder; dennoch kauft die Europäische Zentralbank reihenweise Staatsanleihen aus Euro-Schuldenländern. Faktisch ist die EU trotz anderslautendem Vertragspassus eine Haftungsunion geworden. Verschiedene EU-Politiker drängen inzwischen sogar auf die Schaffung einer Bankenunion.
Vergangenen August proklamierte Viviane Reding in einer estländischen Zeitung: „In Europa ist kein Platz mehr für Totalitarismus.“ Genau! Das muss aber auch für die Europäische Union selbst gelten, die sich auf Kosten der Nationalstaaten und ohne Zustimmung der Bevölkerung immer mehr Macht aneignet. Die Entwicklung der EU zu einer kontinentalen Superbürokratie und die damit verbundene Zentralisierung der Macht sind ihrem Wesen nach totalitär. Die Freiheit auf dem europäischen Kontinent bedingt die gelebte Vielfalt der europäischen Nationalstaaten.